ITALIENISCHE GESCHICHTEN

Der Massei

Das erste Gleitsegel in der Toskana war ein Salewa mit Öffnungen an der Austrittskante, welche nach damaliger Meinung dem Schirm mehr Geschwindigkeit geben sollten. Sein Sinken war allerdings katastrophal und es war ein kleiner Quanten-Sprung, als Puppino ITV zu importieren begann. Doch schon bald etablierten sich die Schirme von Lisi aus Pisa, welcher für die Firma Steger in Österreich produzierte.Es waren perfekte ITV Kopien, flogen gut und man konnte in der Fabrik selber seine Farbe auswählen. Sehr viele Piloten flogen in den kommenden Jahren einen “Lisi”. Eine kleine Minderheit flog eine dritte Marke: die Gruppe um Luca Massei. Auch er hatte den Gleitschirm, wie viele in der Anfangszeit, über das Klettern entdeckt. Schnell hatte er Kontakte zu Parmadelta geknüpft und bekgann deren Schirme in der Toskana zu verkaufen. Er kam von Florenz, doch gab es dort nur einen einzigen Flug, welcher nicht sehr geeigneten war für Anfäner, weshalb meist in Diecimo geflogen wurde.

Alle paar Monate kam eine Neuigkeit raus, oft Kleinigkeiten, regelmässig aber auch wirkliche Fortschritte. Eine dieser Kleinigkeiten, welche uns jedoch enorm vorkam, war der Parmadelta 9/10. Die Zahl stand für die Zellen die der Schirm hatte. Wenn es zu viel Wind hatte konnte man mit einem Reissverschluss eine Zelle schliessen. Massei erklärte den Interessierten jedes Detail ausführlichst. Er war unübersehbar, weder im Flug, denn sein Flügel war schwarz, noch am Start-oder Landeplatz, wo er mit seiner hagere Gestalt, alle Anderen um gute ein einhalb Köpfe überragend, und seiner tiefen angenehmen Stimme sein “Evangelium” verkündete. Es mangelte ihm allerdings noch an einer praktische Demonstration, welche die Überlegenheit seines Gleitschirmes bewies. Diese Gelegenheit kam an einem Freitag Nachmittag. Das Wetter hatte sich nach einer Störung unvermittelt gebessert und Luca vermochte über Mittag ein paar Kollegen zu überzeugen, auf der Calvana zu fliegen. Dieser Berg erhebt sich gleich hinter Prato, wenige Kilometer vor den Toren von Florenz. Dass das ganze Gebiet zum CTR von Florenz gehörte wusste damals noch niemand, und es hätte, wie sich in der Zukunft zeigen sollte, auch niemanden im Geringsten gestört.

Nun denn, zu fünft fuhren sie mit Federico’s Fiat Uno hoch. Lorella, die Freundin von Massei, wollte auch fliegen, das Auto musste also später geholt werden. Lorella liess ihr Auto am Landeplatz, den chlüssel wie üblich auf einem der hintern Stossdämpfer. Trotz der damals noch kleinen Schirme war es ausgesprochen eng und das Gewicht machte dem Auto auf den letzten steilen Metern doch einiges zu schaffen. Es wurde gescherzt, gesungen, und schon die ersten Projekte für den “Ferragosto”, den Sommerferien anfangs August, gemacht. Mit anderen Worten, die Stimmung war ausgezeichnet. Man muss sich vielleicht vergegenwärtigen, dass gute Stimmung nördlich der Alpen und südlich davon nicht ganz das Selbe sind, geschweige denn in der Toskana. Da geht es laut zu und her, Geschichten werden dermassen übertrieben erzählt, dass sie, mindestens für uns “nordischen”, schon beinahe unglaubwürdig erscheinen, und es wird keine Gelegenheit ausgelassen sich über seinen Nachbarn lustig zu machen. Man lacht über die Ausrutscher der Andern, wie auch über seine eigenen Fehler.

Der Wind war bei ihrer Ankunft zwar stark, aber noch innerhalb des Limits. Luca wurde gefragt, ob er denn mit offenem oder geschlossenem Reissverschluss fliegen werde. Die Sache war klar, er wählte die kleine Fläche, denn heute wollte er seinen Kollegen um die Ohren fliegen. Sofort machten sich alle startbereit, eine Angelegenheit ,welche kaum fünf Minuten in Anspruch nahm. Zuerst half Massei seiner Freundin sicher in die Lüfte zu kommen, anschliessend schnallte er sich selber an. Lorella soarte vielleicht 30 m über ihm, hatte allerdings wenig Geschwindigkeitsreserve. Federico, der auch schon abgehoben hatte, flog nur um weniges schneller. Luca wartete, bis auch die anderen beiden Freunde in der Luft waren, dann füllte er seinen Schirm. Er zog ihn “alla francese”, als rückwärts auf. (Irgend jemand hatte einmal einen Franzosen gesehen der so startete, also nannte man den Rückwärtsstart von da an die “französische Metode”)

Er war tatsächlich schnell, aber auch meist etwas weniger hoch, was seinem Stolz jedoch keinen Abbruch tat. “Seht ihr, ich bin doppelt so schnell wie ihr” schrie er ihnen zu. Wie gesagt, solch "kleine" Übertreibungen waren ganz normal. “Pass nur auf, dass du nicht auch doppelt so schnell unten bist” tönte es zurück. Es gieng zu wie im Lunapark mit einer Horde Kinder. Plötzlich kam Luca in den Sinn, dass er noch ein Verabredung in der Stadt hatte. “Ach du heiliger Strohsack, Jungs, ich muss schnell runter” schrie er seinen Freunden zu, “ich hab was vergessen”. Schon jetzt hatte er etwas Verspätung, was in Italien allerdings nicht so schlimm ist. Trotzdem, ein Zahntechniker sollte seine Kunden nicht warten lassen, und er musste sich sputen. Ewas Zeit konnte er gewinnen, wenn er direkt zu Hause landete. Er entschloss sich deshalb, auf einem der Plätze in Prato zu landen, möglichst nahe bei seiner Wohnung. Eigentlich sollte er es bis dorthin schaffen, es war nicht allzuzu weit weg. Die Welt gehört den Mutigen, Menschen wie Massei, die wissen was sie wollen.

Mit einer einigermassen beruhigenden Höhe kam er über dem Platz an. In seinem Inneren hatte er sich bereits den Landeplatz ausgesucht. Es reichte noch für einen Kreis, dann war er in der Landefinale. Der Wind wurde etwas unregelmässig und plötzlich hatte er nur noch ganz wenig Sinken.Das war etwas unangenehm, inmitten von Bäumen, geparkten Autos und etwas Wiese. Er musste im letzten Augenblick mit ein paar “S” seinen Landeanflug korrigieren. Doch so wie das Sinken abgenommen hatte, nahm es jetzt wieder schlagartig zu und ehe er sich’s versah krachte er in die Wipfel einer Platane. ”Sch...” Die Kraftausdrücke eines echten “Toscanaccio” sind so oder so nicht gut übersetzbar, also lassen wir es besser sein.

Er war schnell aus seinem Sitzchen raus, doch der Gleitschirm mit seinen Leinen gab ihm mehr Probleme auf. In Windeseile war eine ganze Traube Leute um den Baum versammelt, und fragten ihn ob er von einem Flugzeug abgesprungen sei. Er kam sich schon ein Bisschen idiotisch vor, ... und diese blöde Katz auf der anderen Seite des Baumes, die kläglich miaute, heiterte seine Laune auch nicht auf. Plötzlich hörte er die Sirene der Feuerwehr. Na ja, dachte er, war aber doch erstaunt, als sie neben seinem Baum anhielt. Eins, zwei war die Leiter ausgefahren und ein Feuerwehrmann neben ihm. “Was machen sie denn hier, ich habe sie bestimmt nicht rufen lassen”. “Ach nein”, meinte der Mann auf der Leiter, “es ist nur wegen der Katze, sein Besitzer hat uns angerufen, sie könne nicht mehr alleine vom, Baum runter.”

Am nächsten Tag konnten wir es alle in der Zeitung lesen: “Feuerwehr musste Fallschirmspringer mitten in der Stadt vom Baum holen” Innerhalb einer Woche wussten alle Gleitschirmpiloten in der Toskana von dem Luca’s ABegegnung mit der Katze auf dem Baum.

Doch manchmal frage ich mich, ob da tatsächlich eine Katze auf dem Baum war?